Bundesweit werden immer mehr künstliche Kniegelenke eingesetzt - zunehmend auch bei Jüngeren. Medizinisch erklärbar sei der Trend nicht, so die Bertelsmann-Stiftung. Die Autoren vermuten finanzielle Gründe dahinter und geben Ärzten Tipps.
Unter den Patienten, denen eine Kniegelenk-Prothese eingesetzt wurde, waren 2016 rund 33 000 Menschen jünger als 60 Jahre. Ein Zuwachs von 23 Prozent im Vergleich zu 2013 -– und um 31 Prozent gemessen an 2009.
Gerade der Blick auf die jüngeren Patienten werfe die Frage auf, "ob die Operationen wirklich medizinisch indiziert sind", kritisierte Stiftungsvorstand Brigitte Mohn. Der Trend sei "besorgniserregend". Die Zahlen hat die Fachredaktion Science Media Center (SMC) in Köln aus Daten des Statistischen Bundesamts errechnet.
Besonders problematisch aus Sicht der Stiftung: Je jünger die Patienten bei einem Erst-Kniegelenks-Eingriff sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Prothese im Laufe ihres Lebens ausgewechselt werden muss.
Als eine Erklärung für den Anstieg sehen Bertelsmann und SMC, dass Knieprothesen-Operationen finanziell lukrativer geworden seien. Über eine zentrale Fallkostenpauschale könnten Kliniken für diese Eingriffe einen höheren Betrag abrechnen. Auch fragten anscheinend immer mehr Patienten nach einer Prothese.
Unterschiede zwischen Bundesländern
Die Analyse ergab große Unterschiede zwischen einzelnen Bundesländern: Am häufigsten wurden Kniegelenk-Prothesen 2016 mit 260 Eingriffen je 100.000 Einwohner in Bayern eingesetzt, gefolgt von Thüringen (243 je 100.000 Einwohner), Hessen und Sachsen-Anhalt (je 217). Im Mittelfeld liegen Baden-Württemberg (202), Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen (201).
Besonders selten wurden künstliche Kniegelenke in Berlin (153) und Mecklenburg-Vorpommern (164) eingesetzt. Die Wahrscheinlichkeit, eine Knieprothese zu erhalten, sei in Bayern um 70 Prozent höher als in Berlin. Auf Kreisebene variierten die Zahlen noch einmal enorm.
Mehr Infos = weniger Operationen?
Die Prothesen könnten segensreich sein, bereiteten aber oft auch Beschwerden, hieß es von der Bertelsmann-Stiftung. "Wenn Patienten sorgfältig informiert werden, entscheiden sie sich seltener für eine Operation." Am häufigsten werden Kunst-Gelenke eingesetzt, weil die Knorpelschicht im natürlichen Gelenk durch Verschleiß schmerzhaft zerstört ist. Auch Fehlstellungen, Verletzungen oder Tumorbehandlungen können ein Grund für eine solche Op sein.
Die Autoren raten Ärzten und Patienten in einer zugehörigen Mitteilung zur Studie, Nutzen und Risiken eines Eingriffs sorgsam abzuwerten. Oft helfen bereits konservative Therapien bei Kniearthrosen; Ärzte sollten ebenfalls für Physio- und Ergotherapien höhere Budgets erhalten, fordert die Stiftung. Ist eine Op unumgänglich, sollten Patienten spezialisierte Kliniken mit hohen Fallzahlen ansteuern. (dpa/ajo)