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Knieschmerzen – landen (zu) oft im OP

Aktualisiert: 19. März 2022

20 Millionen Deutsche leiden an Knieschmerzen – und landen (zu) oft im OP. Wann ein Eingriff nötig ist, und was Sie tun können, damit es gar nicht so weit kommt.

Einmal kurz gestolpert, ein falscher Schritt und plötzlich schießt der Schmerz in den zentralen Dreh-und Angelpunkt des Beins …

Einer, der das auch kennt, ist der Frankfurter Arzt und Kabarettist Dr. Eckart von Hirschhausen. Wegen wiederholter Knieschmerzen hatte er Hilfe bei Medizinerkollegen gesucht. „Der erste riet: Abnehmen und mehr Bewegung. Das wollte ich nicht hören und probierte es deshalb mit Alternativmedizin«, erzählt der 47-Jährige. Der nächste diagnostizierte eine Laktoseintoleranz als Knieschmerzursache, verordnete eine Bioresonanztherapie – und kassierte dafür 1 000 Euro. Der dritte, ein Orthopäde, erklärte den Meniskus für defekt – und entfernte ihn schließlich. Der OP-Erfolg? Hirschhausen: »Das Knie tut immer noch weh. Aber jetzt anders.«

Verschleiss 

Wie Eckart von Hirschhausen durchlaufen Knieschmerzpatienten meist diverse Arztpraxen. Als häufiger Verursacher wird nicht nur bei Sportlern ein beschädigter Meniskus festgestellt. Ein weiterer Grund für einen endoskopischen Blick ins Knie (Arthroskopie) sowie eine OP ist oft auch Arthrose – Knorpelverschleiß. Mit dem Alter oder durch starke Beanspruchung erleidet tatsächlich hin und wieder ein Meniskus einen Mikro-Riss. Auch die Knorpelschicht im Gelenk wird im Laufe des Lebens dünner. Doch nicht alle Menschen mit Kniearthrose leiden an starken Schmerzen oder Bewegungseinschränkung. Trotzdem raten Orthopäden oft zur Knorpelglättung« oder zur Meniskus(teil)entfernung. Mehr als eine halbe Million solcher Eingriffe werden jedes Jahr durchgeführt.

Jede zweite OP ist überflüssig »Mindestens die Hälfte davon ist überflüssig», sagt der emeritierte Heidelberger Chirurg und Kniespezialist Professor Hans Pässler, Gründer des Zweitmeinungsportals Medexo (Medizinische Experten Online, www.medexo.com). Der Professor, der schon Steffi Graf untersucht und Nationalkicker Bastian Schweinsteiger operiert hat, wundert sich sehr über die hohe Bereitschaft der Patienten, sich unters Messer zu begeben – und kaum über die vielen Knieoperationen. »In wohlhabenden Regionen werden die Menschen vielfach öfter am Knie operiert als in ärmeren«, sagt der Chirurg. »Da liegt das Motiv nahe, warum so schnell zum Skalpell gegriffen wird: Es geht ums Geld.« Immerhin können für eine Gelenkspiegelung 1 000 Euro abgerechnet werden, für eine Meniskusentfernung 4 000 Euro und mehr.

Zweitmeinung einholen

Deshalb rät der Kniespezialist Patienten, eine Zweitmeinung einzuholen, sollte ein Arzt dem Knie mit dem Skalpell zu Leibe rücken wollen. Grund sind neue Studien, die belegen: Weder Kniespiegelung und Knorpelglättung bei Arthrose noch Meniskus- oder Kreuzband-Operation sorgen langfristig für Beschwerdefreiheit. Im Gegenteil: Sie verstärken den Knorpelabbau und erhöhen das Risiko, vorzeitig ein künstliches Gelenk zu bekommen.

Beschleunigte Arthrose Beispiel Meniskus: Die beiden knorpeligen Stoßdämpfer innen und außen im Knie sollen Stöße abfedern. Fehlt einer, gerät das Knie in Schieflage – und die Knorpelschicht wird durch die ungleichmäßige Belastung beschleunigt abgerieben. »Früher hat man bei einem Meniskusriss immer gleich den ganzen Meniskus entfernt. Später wusste man: Der Patient entwickelt danach meist eine so schwere Kniearthrose, dass er ein Kunstgelenk benötigt«, erzählt der Kniespezialist.

Physiotherapie statt Skalpell

Er erinnert sich an einen Geschäftsmann, der nach erfolglosen Meniskusoperationen den Heidelberger Spezialisten um Rat bat. »Sein Orthopäde glaubte, einen Meniskusriss entdeckt zu haben und entfernte deshalb den vermeintlich lädierten Stoßdämpfer«, erzählt Prof. Pässler. »Ein Jahr später musste der Mann wegen anhaltender Beschwerden nachoperiert werden. Da hatte er schon einen Knorpelschaden entwickelt. Ein weiteres Jahr danach war kein Knorpel mehr im Gelenk vorhanden, der Knochen war blank gescheuert. Jetzt braucht der Mann mit nur 58 Jahren eine Knieprothese.« Das, so glaubt Pässler, hätte sich womöglich durch eine konservative Therapie vermeiden lassen: Physiotherapie, bei Bedarf Schmerzmittel, Muskelaufbau und Bewegung.

Glaubenssache Heute raten Wissenschaftler zur Zurückhaltung. »Bei einem Profi-Sportler mag eine sofortige Operation sinnvoll sein, damit er schneller wieder aktiv werden kann. Im Normalfall aber heilt sich der Körper oft ohne Eingriff selbst«, sagt Prof. Pässler. Das belegen aktuelle Untersuchungen. So wiesen finnische Mediziner bei Patienten mit einem verschleißbedingten Meniskusriss nach, dass eine Schein-Operation kurzzeitig ebenso viel bewirkt wie eine echte Operation mit Entfernung des Meniskus – allein der Glaube an Besserung und Bewegung half. Auch eine US-Forschergruppe der Harvard Medical School verglich Probanden mit Meniskusriss, die operiert wurden oder nur ein Trainingsprogramm verordnet bekamen. Beiden Gruppen ging es nach einem Jahr vergleichbar gut. Die australische Rheumatologin Dr. Rachelle Buchbinder kommentiert die Ergebnisse im Fachmagazin »New England Journal of Medicine« so: »Eine nichtoperative Behandlung sollte die erste Wahl sein.«

Gerissene Bänder lösen sich auf

Selbst bei der Operation gerissener Bänder zeigt sich ein Trend zur Zurückhaltung. Hatten Orthopäden bislang beteuert, ein Kreuzbandriss im Knie müsse operiert werden, um einer Arthrose vorzubeugen, so weiß man heute: Eine OP senkt das Arthroserisiko nicht und bringt gegenüber einer konventionellen Behandlung mit Krankengymnastik und Muskeltraining keinen Vorteil. Nach zwei Jahren geht es Operierten und nicht Operierten gleichermaßen gut.

Knieschmerzen

Entsorgung Um abgerissene Bänderteile oder lose Meniskus-Enden im Gelenk kümmert sich der Organismus effektiver als jeder Chirurg. „Nicht genutzte Teile baut der Körper ab, ob das gerissene Bänder oder Menisken sind«, sagt Prof. Pässler. »Guckt man den Patienten drei Monate nach einem nicht operierten Kreuz-band-riss ins Knie, ist kein Kreuzband mehr da.« Auch diesen Patienten hilft Muskelaufbautraining, um das Knie zu stabilisieren. Ein solches absolvierte der Heidelberger Professor selbst, der sich als 70-Jähriger auf Glatteis einen Kreuz-bandriss zuzog – und ihn lediglich mit einer stützenden Bandage und Muskeltraining behandelte. »Mein Knie ist heute wieder stabil«, sagt er.

Mobil machen  Das bleibt schmerzgeplagten Kniepatienten mit verschlissenen Knorpeln? Pässler: »Hyaluron-Spritzen ins Knie sind hilfreich, wenn die Arthrose nicht zu weit fortgeschritten ist.« Operiert werden sollte aber nur bei frischen Meniskus-Abrissen und wenn sich ein abgerissenes Meniskusteil im Gelenk verklemmt hat. Das gilt für drei Prozent aller Meniskus-Verletzungen. Als sichersten und gesündesten Knie-Schutz erachtet der Heidelberger Chirurg aber den kritischen Patienten-Verstand. »Wenn ein Arzt Ihr Knie nur spiegeln will, um die Arthrose zu besichtigen und das Gelenk zu spülen: Sagen Sie einfach Nein.«

Das, so wünscht sich Eckart von Hirschhausen heute, hätte er besser vor der Meniskus-Entfernung auch getan. »Ich hätte auf den ersten Arzt hören sollen«, sagt der Kabarettist. »Vielleicht hätten Abnehmen und Muskelaufbau tatsächlich gereicht.« Seine Erfahrung als Patient integrierte er übrigens in sein Tournee-Programm, Titel: »Wunderheiler«.

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